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Rede des Bürgerbeauftragten vor dem Landtag am 26.04.2018

26.04.2018

Rede des Bürgerbeauftragten Matthias Crone zum Jahresbericht 2017 am 26.04.18 vor dem Landtag
- es gilt das gesprochene Wort -

 Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete,

Der 23. Bericht des BB liegt Ihnen vor. Im Berichtsjahr 2017 wurde eine erneute Steigerung von Eingaben und Anfragen verzeichnet – auf jetzt 1.727.

Die hohe Zahl der Eingänge erklärt den etwas strafferen Charakter des Berichts. Er ist mehr auf Überblicke ausgerichtet und hat weniger Einzelbeschreibungen als in den Vorjahren zum Inhalt.

Denn wir mussten ein wenig Zeit gewinnen, um die große Zahl von neuen Petitionen gerade zum Jahresende angemessen zu bearbeiten. Ich meine aber, dass die Qualität des Berichts für den Landtag und seine Beratungen darunter nicht gelitten hat. 

Aus persönlicher Erfahrung darf ich sagen: Schlank muss nicht schlecht sein. 

Wer sich den Bericht nur oberflächlich ansieht, der mag vielleicht denken: „Im Nordosten nichts Neues“, denn viele Themen und Problemkreise kennen wir schon seit Jahren. 

Das ist ein bisschen wie sonntags in der Kirche. Da geht es ja auch seit 2000 Jahren um die gleichen Haltungen und Fehlhaltungen, Tugenden und Sünden– wenn auch in unterschiedlichen Lebenswelten und -zeiten. Der Mensch bleibt in seiner Grundverfasstheit einerseits gleich – und ändert sich doch. 

So ist es auch hier: Wer genauer liest, stellt schnell fest, dass vieles, wenn nicht alles, fließt, sich doch verändert und Unterströmungen plötzlich an die Oberfläche kommen – wie eben im wirklichen Leben. 

Lassen Sie mich einiges herausgreifen, was auch von allgemeinerem Erkenntniswert ist und für die Beratungen des Berichts von Belang sein könnte.

 (1.) Zuerst zur Innenpolitik:

Es liegt auf der Hand, dass Fragen des kommunalen Handelns oder Unterlassens den wichtigsten Teil der Eingaben aus dem innenpolitischen Bereich ausmachen. Denn die Kommunen sind es, die viele Angelegenheiten zu regeln haben, welche die Menschen unmittelbar betreffen. 

Sie sind es, die nicht nur pflichtige Aufgaben erledigen, sondern planerisch gestalten müssen, die als fiskalische Vertragspartner auftreten oder freiwillig Engagement von Bürgern fördern können. 

Auffällig war dabei 2017 nicht nur die weiter hohe Zahl an Eingaben zu kommunalen Abgaben. Auffällig waren auch die zum Teil sehr emotionalen Vorsprachen und die tendenziell grundsätzlichere Kritik vor allem an den Straßenbau- und Anschlussbeiträgen. Es ist klar, dass die öffentliche Debatte in unserem Land dazu sich auch in Petitionen niederschlägt. 

Nicht ganz klar ist für mich, warum die Debatte gerade in letzter Zeit so vehement geworden ist. Bei den Anschlussbeiträgen kann man das Abrechnen lange zurückliegender Erschließungsmaßnahmen vielleicht doch zu großen Teilen erklären. 

Bei den Straßenbaubeiträgen muss die Sache anders liegen. Hier ging es bei den Eingaben in der Regel ja um aktuelle oder noch bevorstehende Maßnahmen. Teils war es das Ausmaß, also die Ausgestaltung der Maßnahme, die von den Anliegern nicht akzeptiert wurde – Stichwort „Luxussanierung“. 

Teils war für die Anlieger nicht einsichtig, dass sie, die die größte Last tragen sollen, auch einen großen Vorteil haben. Es ist kein Zufall, dass gerade bei Haupterschließungsstraßen der Protest so groß war. Hier ging es um besonders hohe Summen und um wenig erkennbaren Vorteil. 

Es ist gut, jetzt – wie vom IMin gestern angekündigt – der Beitragsfrage nachzugehen. Das Thema ist nicht einfach zu lösen und schon gar nicht in wenigen Sätzen abzutun. Es ist aber sicher klug, den beitragsfinanzierten Anteil stärker zu begrenzen und für die Anlieger eine Bürgerbeteiligung bei der Ausgestaltung von Maßnahmen vorzusehen. 

Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete,

zum kommunalen Themenfeld geht der Bericht an mehreren Stellen auf die Kommunalaufsicht ein. In der Arbeit des Bürgerbeauftragten hat die Beteiligung der unteren und auch der obersten Rechtsaufsichtsbehörde einen festen Platz. 

So finden seit Jahren recht regelmäßige Erörterungen mit dem Innenministerium zu einzelnen Fällen oder auch zu grundlegenderen Problemen statt. Und überwiegend zeigen sich spätestens auf dieser Ebene übereinstimmende rechtliche Auffassungen in der Sache. 

Entscheidend ist dann aber, wie mit einem als rechtswidrig beurteilten Zustand umgegangen wird. 

Klar ist: Die Kommunalaufsicht kann entscheiden, ob und welche rechtsaufsichtlichen Maßnahmen opportun sind. 

In den Fällen aber, in denen Bürger unmittelbar von einem rechtswidrigen Verhalten einer Kommune betroffen sind, sollten doch die aufsichtlichen Instrumente möglichst so eingesetzt werden, dass der rechtswidrige Zustand beendet wird. 

Der Bericht zeigt, dass das nicht immer erreicht wurde. Ein besonders prominentes Beispiel ist die Praxis eines Landkreises bei der Schülerbeförderung.

Nach § 113 SchulG können alle Schüler kostenlos an der öffentlichen Schülerbeförderung bis zur örtlich zuständigen Schule teilnehmen - auch bei Wahl einer anderen Schule. 

Der betreffende Landkreis gestattet das nicht. Er behauptet ja, gar keine öffentliche Schülerbeförderung bereitzustellen, sondern nur Öffentlichen Personennahverkehr. 

Der Landtag selbst bezeichnete in seiner Entschließung vom April 2017 diese Vorgehensweise des Landkreises als rechtswidrig. Er forderte die Landesregierung auf, Maßnahmen der Rechtsaufsicht zu prüfen. 

Obwohl die Landesregierung die Rechtsauffassung des Landtages, die auch die meine ist, teilt, wurden keine durchgreifenden Maßnahmen eingeleitet, weil die Rechtsauffassung des Landkreises „vertretbar“ sei. 

Nun muss das OVG entscheiden - und das kann noch dauern. Viele Menschen werden jetzt wohl noch länger auf ihr Recht warten. Ich hoffe aber, dass vorher der Gesetzgeber in diesem Punkt Klarheit und Verbesserung schaffen wird. 

Meine Damen und Herren, ich bin mir bewusst, dass ich hier ein Thema beständig wiederhole. Aber ich bin mir ebenso bewusst, dass in der Politik Wiederholung die Mutter der Veränderung ist. 

Von Mahatma Gandhi stammt – verkürzt - die Erkenntnis: „Die ständige Wiederholung ist nicht sinnlos; denn jede Wiederholung hat neue Bedeutung und bringt uns dem Ideal näher.“ 

Und hier wäre das Ideal eine wirklich freie Schulwahl, die nicht faktisch zu Sanktionen bei der Schülerbeförderung führt. 

(2. Soziales)

 Sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete,

 Ich möchte zur zweiten großen Themenfamilie kommen: Nach dem Gesetz hat der Bürgerbeauftragte einen eigenen Auftrag zur Beratung und Unterstützung in sozialen Angelegenheiten. 

Knapp die Hälfte der Eingaben - nämlich 867 – hatte denn auch einen sozialrechtlichen Gegenstand oder sonst einen sozialen Schwerpunkt. Das sind 59 Fälle mehr als 2016. (Das ist die formale Statistik, aber natürlich stecken auch in vielen weiteren Petitionen soziale Fragen, Nöte und Sorgen.)

Die meisten Anfragen kamen – wie in den Vorjahren – wieder zum SGB II. Für dieses komplizierte Rechtsgebiet gibt es nach wie vor eine besondere, spezialisierte Beratung, die leicht steigend in Anspruch genommen wurde.

Am stärksten angestiegen jedoch sind im sozialen Themenband 2017 (vor Fragen zu Renten und Sozialwohnungen) die Petitionen zu Kinder- und Jugendhilfeangelegenheiten. Hier wiederum war das Kindertagesförderungsgesetz ein wesentlicher Schwerpunkt.

Es ging dabei um die Berechnung und Ermäßigung von Elternbeiträgen oder Ansprüche auf Kindertagesbetreuung.

In vielen persönlichen Gesprächen brachten Eltern ihren Unmut über die Finanzierungsregelungen des Gesetzes zum Ausdruck. Denn viele Träger haben in den letzten Jahren ihre Leistungsentgelte stark erhöht, um ihr Personal – endlich – angemessen zu bezahlen. Das ist an sich gut so.

Aber diese beträchtlichen Entgeltsteigerungen konnten Eltern zunächst oft nicht nachvollziehen. Sie sind es, die trotz § 8 KiföG wohl den geringsten Einfluss auf Leistungen und Entgelte haben. Und sie sind es ja, die nach der Systematik des Gesetzes allein - mit den Wohnsitzgemeinden - Kostensteigerungen tragen müssen.

Das schafft Verdruss und ist schwer zu erklären. Und vielleicht kann diese Systematik im Zusammenhang mit den geplanten gesetzlichen Entlastungen für die Eltern überprüft und verbessert werden.

 

(3. Belange und Rechte von Menschen mit Behinderungen)

 Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete,

ich komme zum dritten Thema.

 Das Gesetz trägt dem Bürgerbeauftragten seit 1995 weiter auf, die Belange von Menschen mit Behinderungen wahrzunehmen. Rechtlich und tatsächlich hat sich seither hier viel getan:

Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen ist in Kraft getreten. Das Grundgesetz und unsere Landesverfassung haben eigene Grundrechtsartikel dazu bekommen. Das Bundesteilhabegesetz ist verabschiedet worden.

Es geht hier also um Menschenwürde und um Menschenrechte. Es geht um volle Teilhabe am Leben in der Gesellschaft – selbstbestimmt, gleichberechtigt, barrierefrei, inklusiv.

Jetzt ist die Zeit, in der wir dies umsetzen müssen.

Der Bericht gibt eine Ahnung davon, wie schwierig und steinig und mühsam dieser Weg ist - bei den großen Rahmenbedingungen, bei den Möglichkeiten im Einzelfall und im Bewusstsein von Entscheidern und Machern im Alltag.

Das betrifft die Inklusion in der Schule, die Eingliederung auf dem Arbeitsmarkt, barrierefreies und selbstbestimmtes Wohnen, Sicherung von Mobilität oder Pflegeleistungen.

In 249 Fällen wurden wir eingeschaltet. Und zu oft wurde dabei deutlich, dass das Bewusstsein für die grundlegenden Teilhaberechte bei manchen Entscheidern noch unterentwickelt ist.

Bei der Überarbeitung des Landesbehindertengleichstellungsgesetzes oder des Maßnahmeplans der Landesregierung, vor allem aber im Vollzug der Sozialgesetzbücher, kommt es nun darauf an, wirklich auf der Grundlage und im Licht der Behindertenrechtskonvention zu arbeiten und nicht als Kommissare der Kostendämpfung.

Das dient übrigens nicht nur den vielen Menschen mit Behinderungen im Land – es sind über 180.000 – es dient sehr oft auch anderen.

Barrierefreiheit im öffentlichen Raum oder im ÖPNV ist für alle gut. Barrierefreie bezahlbare Wohnungen helfen vielen. Und eine gut dosierte, organisierte und vorbereitete Inklusion in der Schule unter guten Bedingungen kann nach den Erfahrungen für die Schüler insgesamt ein Vorteil - für die Sozialkompetenz, für Mitverantwortung junger Menschen ohnehin – sein.

Maßnahmeplan, Gleichstellungsgesetz, Landesrahmenverträge, neues Teilhaberecht: Es steht viel bevor. Es muss viel bedacht und beraten, verändert und entwickelt werden. Das kann nur mit den Menschen mit Behinderungen, mit ihren Vertretungen geschehen.

Wäre es da nicht an der Zeit, einen Schub der Bewusstseinsbildung zu organisieren, zu anstehenden Vorhaben offene Beratungen anzubieten? 2010 gab es dazu den 1. Tag der Menschen mit Behinderungen hier im Landtag. Der war stark parlamentarisch angelegt und formulierte natürlich wichtige Forderungen.

Nach acht Jahren kann ich mir gut einen 2. Tag vorstellen, der aber auch niedrigschwellige und bunte Teile haben darf, der Raum gibt für Erfahrungsaustausch und für viele Menschen offen ist.

Ich meine einen Tag, der neben guten Beratungen auch Verständnis stiftet und Mut macht, der Schwung gibt und mitnimmt, der ansteckt und begeistert.

Ich weiß, dass das im Landtag beraten wird und ich sage gern zu, dies persönlich zu unterstützen.

(4. Schlussteil)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete, 

Ich habe heute nur einige wichtige Politikfelder aus dem Bericht hervorgehoben. In der Breite werden sie ja noch in den Ausschussberatungen behandelt. 

Ich hoffe, dass die Darstellungen im Bericht geeignet sind, Probleme, kleinere und größere Fragen der Menschen unseres Landes gut herauszuarbeiten, damit Verantwortliche geeignete Schlüsse aus ihnen ziehen.

Denn das zeichnet einen demokratischen Recht- und Sozialstaat aus, dass er darauf achtet, wie gut seine Gesetze vollzogen werden, wie sehr seine Mitarbeiter sich als Diener des Ganzen verstehen und die ihm anvertrauten Menschen zu ihrem Recht oder auch zu ihrer nötigen Unterstützung kommen.

Dazu beizutragen ist meine Aufgabe und die meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Dazu haben Sie mir in reichlichem Maß Vertrauen für weitere sechs Jahre gegeben. Für dieses Vertrauen danke ich an dieser Stelle ausdrücklich. Es ist Auftrag und Verpflichtung - gerade in der Wiederholung.